Meine private „Kleidersammlung“
Vor Jahren habe ich bei einem Chaosflug meinen Koffer verloren und ich hatte darin fast alle meine Lieblingsteile, es fehlte plötzlich die Quintessenz meiner Garderobe und mein Restschrank war ein trauriger Anblick. Als der Koffer nach einer Woche wieder auftauchte, war ich so glücklich, dass ich sogar ein Foto von meinem Heimkehrer gemacht habe.
Erst bei dieser Gelegenheit wurde mir bewusst, dass in meinem Kleiderschrank ganz ungeplant und unbewusst ein Qualifizierungsprozess stattfindet. Neben bzw. aus den aktuellen Outfits entsteht eine Art Sammlung, eine Garderobe meines Lebens – oder besser gesagt meiner späten Tage. (Früher war ich leider ein Anhänger des „gepflegten“ sprich regelmäßig ausgemisteten Kleiderschranks und habe viel zu wenige historische Outfits aufgehoben, immerhin, ein paar gibt es und nein, mein Brautkleid ist nicht dabei). Diese Kleidungsstücke sind Zeugnisse meiner persönlichen Geschichte und geben meinem individuellen Stil eine zusätzliche Dimension, weniger eine Zeitachse, eher Jahresringe. Tatsächlich enthält meine Sammlung sogar ein paar ungetragene bzw. untragbare Stücke, die sie für mich erst wirklich perfekt machen. (z.B. das Jean-Paul Gaulthier/Beth Ditto T-shirt)
Die Garderobe meines Lebens zeigt vielleicht eine gewisse Parallele zu Donna Karans Capsule Collections in den 80er Jahren, sie beschränkten sich auf die Key Looks der aktuellen Kollektion und stellten eine verdichtete Version ihrer Vision dar. (Quelle: Fashion A-Z, BoF). Mir gefällt der Gedanke, dass man so im Lauf der Zeit die Saison Highlights aneinanderreihen kann wie Perlen, jede eine eigene, wundervolle Welt und zusammen eine einzigartige Kette.
Bisher ist meine private Kleidersammlung in einem Verdichtungsprozess entstanden. Am Anfang stand die experimentelle Fülle und am Ende erst wählte ich die Highlights aus, die ich für das nächste Jahr aufheben wollte. Da waren natürlich viele Neuerwerbungen der Saison dabei, aber auch das Beste aus den vergangenen Jahren. Grundprinzip war das zeitversetzte Aussortieren: Nach der ersten Kaufentscheidung konnte ich mir viel Zeit nehmen, um die Qualität der Stücke zu erfahren, ihre Ausdruckskraft, ihre Funktion in meiner Garderobe. Die Präferenzen ergaben sich aus vielen täglichen intuitiven Entscheidungen, es war ein fortwährendes Interpretieren, ein organischer Prozess, Wachsen eben.
Wie wird es weitergehen mit meiner nachwachsenden Garderobe, wenn der „Rohstoff“ knapp wird? Weniger kaufen bedeutet eine radikale Veränderung, die Langzeit Bewährungsprobe entfällt und die endgültige Auswahl sollte idealtypischer Weise schon vor der Kaufentscheidung passieren. Man könnte meinen, dass sich dieses Problem durch vorher länger überlegen lösen lässt, aber ich bezweifle das, denn die besten Sachen, zumal in meiner Größe, gehen einfach zu schnell weg! Also besser überlegen? Ja, klar, bloß: Wie identifiziert man die Dinge, die bleiben?