Hofflohmarkt

Gestern bin ich etwas länger über meinem Post gesessen und als ich aufwachte, war in unserem sonst so stillen Hof ein Stimmengewirr und alle möglichen Geräusche zu hören, die ich nicht zuordnen konnte. Im ersten Moment dachte ich, ich hätte auf dem Elisabethmarkt übernachtet. Überraschenderweise war der Spuk nicht vorbei, als ich das Rollo hochzog und die Balkontür aufmachte. Der Lärm wurde noch lauter und ich stand im Nachthemd auf meinem Hochparterrebalkon über, um nicht zu sagen zwischen, den Marktständen, die einige Mitbewohner aufgebaut hatten- Hofflohmarkt!

Hatte ich gar nicht auf dem Plan, aber ich habe mich schnell aufgebrezelt und ins Getümmel gestürzt, denn Second-hand oder feiner gesagt Vintage ist ja die Königdisziplin der Nachhaltigkeit in der Mode…was für eine Enttäuschung! Eigentlich liebe ich Flohmärkte, sie sind viel lebendiger als Geschäfte mit sterilen neuen Sachen, es gibt selten gewordene Dinge und selbstgemachte Einzelstücke, die sich oft durch einen kuriosen Gestaltungswillen auszeichnen. Aber bisher habe ich nur nach Blechschachteln, alten Flaschen, Fischdosen, Schneemännern, Herzen, Modeschmuck oder Oktopussen geschaut, je nach Sammelphase, niemals nach Kleidung. Mein Gott, war das Zeug tot! Es lag wie erschlagen über den Tischen oder baumelte wie gedörrter Stockfisch an Kleiderhaken. War das alles zu heiß gewaschen, tot geschleudert, die letzte Faser im Kleidersack gebrochen?

Und dazwischen dann plötzlich dieser aufregende Fohlenmantel aus den Siebzigern, total räudig aber quicklebendig, immer noch ein Klassestück! Leider nicht zum Verkauf ausgestellt, sondern sehr mondän von einer Hippieseniorin über die Höfe getragen, wow! Tja, allein an der gebrochenen Faser leiden die Wiedergänger wohl nicht, die hier den Tanz der (Kla-)Mottenvampire darbieten, da muss es schon weiter fehlen, sind sie vielleicht nicht scheintot sondern waren vorher scheinlebendig? Müßige Frage. Interessanter wäre, warum dieser Mantel so unverschämt lebendig war. Was ist dran oder drin, was ist sein modisches Lebenselixier, ist er vielleicht Miraculix in den Zaubertrank gefallen?

Am Nachbarhaus schräg gegenüber hatte eine junge Frau eine sehr ansprechende kleine, sorgfältig kuratierte Garderobe ausgestellt, fünf Outfits, die man von der Stange weg hätte anziehen können, vorausgesetzt man hat Größe 38 und mag einen adretten Look. Trotzdem hätte ich mir nichts davon gekauft, auch wenn ich die Voraussetzungen erfüllt hätte. In dem Fall nicht weil zu tot, sondern weil zu lebendig. Zeitzeugen eines fremden Lebens, das ich mir nicht hätte überziehen wollen. Sonderbar, diese Kleidungsstücke, die ihre Trägerin verhüllt und geschützt hatten, wirkten so vorgeführt seltsam intim, zu intim. Sie enthüllten mehr als sie zeigen sollten, es war peinlich. Irgendwie hätte man diese Garderobe vorher neutralisieren müssen, damit sie sich jemand anders aneignen kann. Auch darüber muss ich nachdenken.

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