Subjekt der Begierde

Mein Mann gehört der Kaste der Gutgekleideten an, genauer gesagt einer kuriosen Untergruppierung, den Auftragern. In seinem Schrank hängt fast noch jedes Kleidungsstück, das er sich in seinen erwachsenen Jahren gekauft hat, alles gute Qualität und so zeitlos – und er kann sich herzlich darüber freuen, wie betagt die Sachen sind, die er gerade aufträgt. Natürlich kann er nicht nachvollziehen, warum ich jede Saison neue Sachen kaufen muss – nach dem langen Herbsturlaub warteten sie besonders augenfällig in Form einer Päckchenpyramide auf mich – und dann die Anprobe Orgie! Tagelang ist diese Frau nicht anzusprechen und hat nichts anderes im Kopf als Mode…

Ich kann ihm nicht verständlich machen, was mich bewegt, nicht die Aufregung teilen, die mich erfasst so wie damals, als wir Kinder in einem verregneten Sommer die modrige „Faschingskiste“ im Keller entdeckten und wochenlang verkleidet rumhüpften, heute Cowboy, morgen Zigeunerin und übermorgen Frau Neureich. Noch heute fasziniert es mich, was Neues überzuziehen und dann im Spiegel zu sehen, wer ich jetzt bin.

Genauso aufregend und immer wieder überraschend ist die Begegnung auf Metaebene mit meinen favorisierten Modedesignern. Es begeistert mich, ihre Visionen über ihre Kreationen be-greifen und teilen zu können, bei ihrer Fortentwicklung von Kollektion zu Kollektion live dabei zu sein. Und das nicht nur als Zuschauer, nein, durch meine Auswahl und meine Kombinationen fühle ich mich als Teil dieses kreativen Prozesses und kann meine persönliche Version hinaus auf die Straße tragen! (Und dort auf andere Fashionistas treffen, anerkennende Blicke tauschen, deren individuellen Ideen als Bereicherung mit nach Hause nehmen und in die nächsten Kombinationen aufnehmen – bis sich das Ergebnis dieses kollektiven Work-in-Progress letztendlich auch in der Entwicklung der nächsten Kollektionen niederschlägt. Irgendwie so. auf jeden Fall fühlt es sich richtig gut an.)

Jedes neue Outfit ist Selbsterfindung, Welterkenntnis, Kommunikation, es geht darum wahrzunehmen und wahrgenommen zu werden, präsent und im Fluss zu sein, Resonanz zu spüren, sich lebendig zu fühlen, teilzunehmen am Lauf der Jahreszeiten, am großen Stoffwechsel – da kann ich doch nicht den angestaubten Fummel von gestern auftragen!!!!

Jedenfalls nicht pur…

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