Die Kunst der richtigen Auswahl
Vor längerer Zeit habe ich eine Süditalienreise zusammen mit einer Bekannten aus Münster gemacht, sie kam mit dem Zug nach München und war ein paar Tage bei mir, bevor wir gemeinsam nach Napoli weiterfliegen wollten. Ich holte sie mit dem Cabrio vom Bahnhof ab und staunte nicht schlecht, wie riesig ihr Koffer war, keine Chance, ihn in den Cabrio Kofferraum zu bekommen. Er war auch zu mächtig, um ihn bei vorgeklappter Rückenlehne meines Zweitürers auf den Rücksitz zu schieben. Glücklicherweise schien die Sonne, ich machte das Dach auf und wir hoben ihn mit vereinten Kräften rein, denn bleischwer war er natürlich auch. Gut, dass man damals mit dergleichen Auftritten noch nicht auf YouTube landete, aber einigen Passanten haben wir vermutlich den Tag gerettet, sie hatten jedenfalls reichlich Spaß mit uns.
Es war nicht ganz einfach, Roswitha davon zu überzeugen, dass sie dieses Monster nicht als Fluggepäck einchecken konnte. Warum wurde schnell klar, als sie den Koffer dann aufmachte – diese Feriengarderobe konnte man nicht so ohne weiteres „einschrumpfen“! Roswitha hatte dicht gepresst Outfits in allen Farben, Mustern und Stilrichtungen dabei, vom Matrosenlook über Großgeblümtes bis hin zum puristischen Leinenanzug in hellgrau, jedes für sich perfekt durchgestylt, mit Schuhen, Handtasche, Halstuch und passendem Schmuck, man hätte meinen können, dass da mindestens 5 verschiedene Frauen unterwegs waren. Wie sich herausstellte, kaufte die Gute in der Boutique ihres Vertrauens alles so ein, wie es dort ausgestellt war, weil sie sich selbst nicht ans Kombinieren traute, und sie trug auch alles immer in der Originalkombi. Einfach ein paar Teile rausnehmen war da nicht!
Wir haben dann erstmal farblich sortiert, um zunächst der Schuh- und Handtaschenflut Herr zu werden, dann das größte Konvolut ausgewählt, Jeans und Teile in Blau- und Grautönen, und mal probiert, wie sich die Sachen kombinieren ließen. Tatsächlich konnten wir damit und mit nur 2 Paar passender Schuhe die meisten Anlässe abdecken, die unser Reiseplan vorsah, Strandtage ebenso wie Stadtbesichtigungen und Ausflüge ins Grüne, und es sah auch nicht mehr ganz so nach Persönlichkeitsspaltung aus. Die Sneakers und eine feste Jacke zog Roswitha für den Flug an und dazu eine sportliche Handtasche in Grau, in die man auch was zum Überziehen packen konnte, die Sonnencreme und was man sonst noch so unterwegs braucht. Der Koffer war zwar immer noch riesig aber er wog nur noch 16 Kilo, so dass die Badesachen und 2 Ausgehoutfits in Rot plus schicke Sandalen und Abendtäschchen zum Schluss auch noch reinpassten.
Es war ein Crashkurs im Zusammenstellen der perfekten Reisegarderobe und auch für mich ziemlich spannend, denn ich hatte bis dahin mehr intuitiv gepackt und auch meine Koffer waren tendenziell eher zu voll – wenn auch kein so stilistischer Regenbogen wie Roswithas. Bei 23 kg Fluggepäck, damals waren es sogar nur 20, ist das Kofferpacken durchaus eine Herausforderung, vor allem wenn man nicht nur einen Strandurlaub plant. Heute habe ich mein System perfektioniert und schaffe es mühelos, wenn auch mit einigem Zeitaufwand, meinen Koffer so zu packen, dass ich 3 bis 4 Wochen für alle Anlässe gut gerüstet und immer interessant gestylt bin. Zu meiner eigenen Überraschung wiegt der dann selten mehr als 18 Kilo, selbst in der Übergangszeit, wo man mit Wetterumschwüngen rechnen muss. (Ich habe mir allerdings auch einen superleichten, sündteuren Carbonkoffer geleistet!)
„Mein System“ klingt jetzt sehr rational, tatsächlich ist es aber ein mehrstufiger Prozess, der mit einem völlig irrationalen Brainstorming beginnt…und mit einem beherzten Cut endet. Zwischendrin habe ich ziemlich viel Spaß mit Anprobieren und ganz nebenbei entsteht eine Art Schatzkarte, die es mir leichter macht, meine immer wieder zerpflückten und neukombinierten Outfits für alle Wetter- und Lebenslagen vor Ort aus den mitgebrachten Einzelteilen zusammenzufügen. Vielleicht eine Technik, die ich für den Einstieg in dieses verflixte beschränkte Thema übernehmen könnte, seufz! Aber bevor ich jetzt eine Wegwerforgie starte, fange ich doch lieber an mit einer kleinen Urlaubscapsule – und behalte den Rest!